(Entnommen der Ausgabe 2/2005 der "Heimat Dortmund", der Zeitschrift
des
Historischen Vereins für Dortmund und die Grafschaft Mark e. V. in
Verbindung
mit dem Stadtarchiv Dortmund)
 

„Jetzt sind sie völlig übergeschnappt!“

Die „Alte Linde“ baut einen Bunker zum Logenhaus um

Manch betagter Dortmunder mag den Hochbunker an der Landgrafenstraße/Wittelsbacherstraße noch aus Kriegszeiten kennen. Und der eine oder andere, inzwischen auch nicht mehr ganz so junge Dortmunder kennt den Bunker aus Friedenszeiten, als Musikclub der siebziger Jahre. Ansonsten galt er lange eher als Schandfleck: Nicht schön anzusehen und irgendwie nutzlos. Dass der Betrachter von außen heute allenfalls erahnen kann, dass hier ein ehemaliger Bunker steht, ist der Loge „Zur alten Linde“ zu verdanken, die hier ein neues Domizil gefunden hat und von der Idee besessen war, den ehemaligen Bunker zu einer zeitgemäßen Immobilie umzubauen.

Der Betonkasten hat eine wechselvolle Geschichte. Im II. Weltkrieg wurde er als einer von 24 Hochbunkern in Dortmund gebaut. Ein Kubus aus meterdickem Stahlbeton, circa 20 x 20 Meter Außenmaß, drei Geschosse, davon eines unterirdisch. Bei Luftangriffen sollten hier 1500 Personen Schutz finden. Die Leidensgeschichten, die während des Krieges hier erlebt und erzählt wurden, sind leider nicht dokumentiert.

Nach dem Krieg wurde der Bunker vom gegenüber liegenden Telegrafenamt als Lager genutzt. In den siebziger Jahren zog die Kultur ein. Gut abgeschirmt von außen und in einer eher rustikalen Kneipe mit Kupferlampen und Holzschwarten fanden hier legendäre Konzerte statt. Alles was in der Folk-, Gitarren- und Liedermacherszene Rang und Namen hatte und heute noch hat, trat damals auf: Werner Lämmerhirt, Leo Kottke, Sammy Vomacka, Manderley, Störenfried, Franz-Josef Degenhardt, Hans Dieter Hüsch, Hannes Wader, Fred Ape und viele andere. Ein Beobachter schrieb über eine dieser „Folknächte“ in den Ruhr-Nachrichten: „Im Bunker an der Wittelsbacherstraße war`s am Samstagabend mal wieder eng wie in einer Sardinenbüchse. Die dritte „Folknacht“ ließ bei etlichen hundert jungen Leuten bis weit nach Mitternacht die qualmgeschädigten Augen tränen und Schweißperlen von der Stirn kullern. Obendrein trockneten ständig die Kehlen aus, weil dem Bunkerwirt genügend Gläser fehlten – der Alptraum jedes Gastronomen.Keine Pannen gab`s beim Musikprogramm. Das stilistische Spektrum war breit gefächert und reichte vom Beatles-Song über kritische deutsche Liedtradition bis zum amerikanischen Folk-Rock und zu Bluegrass-Klassikern.“ Der Bunker – zwar kein Konzerthaus, aber eine beliebte Konzertstätte - schrieb Dortmunder Musikgeschichte.

Irgendwann verabschiedete sich die Kultur. Der Bunker gammelte vor sich hin. Niemand wusste so recht etwas mit dem Betonklotz anzufangen. Nur einmal noch wurde der Bunker zum Symbol. Die Dortmunder Friedensbewegung entdeckte ihn und veranstaltete am 10. August 1985 eine Bunkerbemalung. Friedensarbeit vor Ort hieß die Aktion, Graffiti für den Frieden. Danach war es erneut still um den Bunker.

1994, nach dem Ende des Kalten Krieges und als auch ein heißer immer unwahrscheinlicher wurde, hob man - wie es im Verwaltungsdeutsch heißt - die „Zivilschutzbindung“ für den Bunker auf. Er wurde - und mit ihm elf weitere Bunker in Dortmund - frei verfügbar. Und es begann - initiiert von der Freimaurerloge „Zur alten Linde“ - ein in Deutschland seltenes Konversionsprogramm: Der Umbau des Bunkers zu einem modernen Wohn- und Logenhaus.

Die "Alte Linde" mutiert zur Bunkerloge

Bereits Ende 1994 wurde das Thema „Neue Räume“ in der „Alten Linde“ erörtert. Denn die Jüdische Kultusgemeinde in der Prinz-Friedrich-Karl-Straße in Dortmund erlebte durch den Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion einen ungeahnten Aufschwung. Und das frühere Altersheim, in dem die Loge seit 1979 ihr Domizil gefunden hatte, wurde dringend gebraucht. Ein Vordenker schrieb bereits Ende Januar 1995 zum Thema „Neue Logenräume“: „Ausgelöst durch die neulich diskutierte Frage nach einer künftigen Bleibe für die „Alte Linde“ habe ich mir die Frage gestellt, ob angesichts der langfristigen Generationen überspannenden und gleich bleibenden Nutzung nicht eigene Räume geschaffen werden können?“ Die Frage fiel auf fruchtbaren Boden. Denn in fremde Räumlichkeiten hatte die Loge in der Vergangenheit bereits erhebliche Mittel investiert. Anfang 1996 folgten daher Anfragen an das Liegenschaftsamt der Stadt Dortmund, den Kirchenkreis Mitte und die Deutsche Bahn sowie einige Dortmunder Brauereien wegen einer geeigneten Immobilie. Ohne Erfolg.

Im Juli 1996 konnte man immerhin an die Stadt schreiben: „Wir haben inzwischen ein ungewöhnliches Kaufobjekt `in der Nase`, vielleicht wird es etwas.“ Es war der Bunker. Skeptiker gab es in den Reihen der Loge genug, darunter auch Fachleute. „Jetzt sind sie völlig übergeschnappt!“ hieß es gar aus Baden-Baden. Der Architekt und Bruder Dr. Klaus Hänsch (1942-2003, Freimaurer seit 1981) wurde zum entscheidenden Motor des ambitionierten und risikoreichen Projektes. Klaus Hänsch hatte Erfahrungen mit Um- und Anbauten von außergewöhnlichen Objekten. So hatte er in zum Beispiel in Dortmund die Rotunde des Museums für Kunst- und Kulturgeschichte geplant sowie in Duisburg den Anbau des Wilhelm-Lehmbruck-Museums. Ein Fachmann also, beseelt von dem Gedanken, seiner Loge „Zur alten Linde“ nach vielen Jahren wieder eine dauerhafte Heimstätte zu schaffen.

Der Erwerb und Umbau des Bunkers sei ein „ähnlicher Meilenstein wie der Bau in der Victoriastraße,“ so der damalige und heutige Logenvorsitzende Arnim Schneider in einem Anschreiben an die Mitglieder der „Alten Linde“. Am 27. Februar 1997 erfolgte die grundsätzliche Zustimmung der Loge in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung. Mögliche wurde der Ankauf und Umbau aber erst durch eine umfassende Spendenakquisition unter den Mitgliedern der „Alten Linde“. Mit Erfolg. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung der Loge am 5. Juni 1997 konnte daher beschließen: „Der Vorstand wird ermächtigt, einen Kaufvertrag über das ausgebaute Obergeschoss des Gebäudes Landgrafenstr./ Wittelsbacherstr. mit einem Kaufpreis bis zu 400.000 DM zuzügl. üblicher Nebenkosten mit dem das Objekt erwerbenden Bauträger abzuschließen.

Der Umbau des Bunkers zu einem Logenhaus stellte sich dann doch als schwieriger als heraus als erwartet. Beim Sprengen der Löcher für Türen und Fenster in den zwei Meter dicken Wänden zum Beispiel haben sich die Sprenger mal mit der Sprengstoffmenge vertan und ein paar Brocken sind etwas weiter geflogen als geplant. „Die Nachbarschaft hatte sehr zu leiden,“ resümierte Architekt Klaus Hänsch später.

Doch Wagemut und Opferbereitschaft, kombiniert mit Sachverstand und Beharrlichkeit, machten das fast Unglaubliche möglich: Im Jahr 2001, nach 65 Jahren, bekam die Dortmunder Freimaurerloge „Zur alten Linde“ wieder ein eigenes Logenhaus. Die feierliche Einweihung fand statt am 10. November 2001 durch unsren Großmeiser, Professor Klaus Horneffer. 135 Jahre nach der Einweihung des Logenhauses der „Alten Linde“ in der Victoriastraße. Mit dabei waren Gäste aus 26 verschiedenen Logen, darunter aus Österreich und England.

Die Ruhr-Nachrichten schrieben über das neue Domizil: „Von innen beeindrucken die Logenräume in der ersten Etage. Riesige Rundbogenfenster sorgen für helles Licht im Saal mit den zwei Meter dicken Wänden. Drei Säulen mit lichtdurchfluteten Kapitellen verleihen dem Raum schlichte Eleganz. Für geheimnisvolles Flair sorgt schließlich ein farblich variabler elektrischer Sternenhimmel.

Und Herbert Guntenhöner, Meister vom Stuhl der Loge im Jahr der Fertigstellung der neuen Logenräume, stellte damals fest: „Es hat durchaus symbolische Bedeutung, dass wir in einem ehemaligen Bunker einen solchen Ort für menschliche Begegnung schaffen.“

Auch in Kriegszeiten trafen sich im Bunker Menschen, die sich sonst nicht begegnet wären. Sie suchten Schutz vor dem Bombenhagel, der auf Dortmund niederging, Schutz vor dem Tod. Heute ist der Bunker ein Ort eine Stätte menschlicher Begegnung und ethischer Bildung und Erziehung. Ein Schutzraum, ein geschützter Raum, ein Ort der Eintracht und Harmonie, des Friedens also. Und auch die Kultur zieht wieder ein in den ehemaligen Bunker: Jazz-, Lieder- und Opernabende, auch Gitarrenkonzerte im Rahmen der „Mommenta“, haben hier mittlerweile stattgefunden. Sogar ein bundesweites Treffen von Saxophon-Spielern und Spielerinnen, die hier kräftig in die geliebte „Kanne“ blasen konnten. Pegasus, das Musenpferd, ist also wieder angekommen im ehemaligen Bunker. Es fehlt, sagt so mancher, nur noch ein Wirt im Erdgeschoss.

H. D.

 

 

Quellen- und Literaturverzeichnis:

„Dritte „Folknacht“ mit viel Musik: Biernachschub klappte nicht“, Presse-Artikel aus den siebziger Jahren

„Neue Logenräume eingeweiht“, in: Lindenblatt, Ausgabe 10, November 2001

„Bunker wird zum `Logenhaus`“, in: Ruhr-Nachrichten, 2001

„Sterne leuchten elektrisch: Freimaurer weihen neue Logenräume ein“, in: Ruhr-Nachrichten, 12. November 2001

„Nach mehr als 60 Jahren: Eigenes Domizil für Loge „Zur alten Linde“, Westfälische Rundschau, 20. November 2001

Schriftl. Auskunft von Kai Ohlenfeld vom 12.03.2005

www.vietze.de/kv-magazin-archiv.htm

 

Der alte Bunker an der Landgrafen- / Ecke Wittelsbacherstraße um 1996, vor dem Umbau durch die Loge Zur alten Linde".
Ausschnitt aus einem Zeitungsbericht über eine "Folknacht" im Bunker in den siebziger Jahren
Bericht aus der Westfälischen Rundschau vom 20. November 2001